Vom Rauschen der Modems zur Stille des Wesentlichen.

Manchmal muss man den Stecker ziehen, um zu prüfen, ob die Maschine auch ohne Strom noch einen Sinn ergibt.

DER RAUSCH

Meine Reise begann nicht in einem sterilen Büro, sondern in der wilden, unkartografierten Prärie des frühen Internets. Es war Mitte / Ende der 90er. Eine Zeit, in der das Einwählen ins Netz noch klang, als würden zwei Roboter in einer Blechdose streiten, und wir naiv genug waren zu glauben, dass ein bisschen HTML die Welt retten würde.

Wir waren jung. Wir waren hungrig.
Und wir waren überzeugt, dass ein paar Pixel die Physik beleidigen können.

Es begann mit einer digitalen Kriegserklärung.
Kiel. Nacht. Briefkasten.
Mitten in der Nacht schiebe ich eine CD-ROM in den Schlitz einer Agentur.
Keine Mappe. Kein Lebenslauf. Kein „Sehr geehrte Damen und Herren“.
Nur Arbeit.
Und dieser unausgesprochene Satz:
Schaut hin.
Entscheidet euch.

Am nächsten Tag sitze ich in ihrem Büro.
30 Quadratmeter. Neonlicht, das surrt wie ein schlecht gelauntes Insekt.
Vier weiße Tische.
Null Seele.

„Wir wollen dich.“
Ich merke: Hier wird man gut. Aber nicht frei.
Ich gehe.
Nicht dramatisch. Nur konsequent.

Martin Kalinowski von PlasticSurf 2024

Ich lande bei einem Art Director aus Argentinien.
Urgestein. Kante. Humor wie Schleifpapier.
Und dann kommt Macromedia Flash.
BOOM.

Plötzlich bewegt sich das Internet. Und wir bewegen uns mit.
Erste Buttons. Erste Websites.
Erste Nächte, die nicht mehr „Nacht“ heißen, sondern nur noch „weiter“.
Manchmal Couch. Manchmal Kaffee. Oft beides.

Dann Hamburg.
Dotcom.
Vollgas.

Investoren-Geld, das schneller reinfliegt, als der Verstand hinterherkommt.
Große Räume. Große Versprechen. Kurze Deadlines.
Wir bauen Datenbanken für Model-Agenturen, als andere noch Faxe verschicken.
Systeme, die „morgen“ doppelt so viele Nutzer aushalten müssen – weil irgendwer heute Abend wieder eine Serviette unterschreibt.

14-Stunden-Tage.
Nachts Feiern.
Morgens wieder Licht.
Du schläfst wenig, aber du adaptierst schneller als der Markt.
Und du merkst: Geschwindigkeit ist geil. Bis sie teuer wird.

Crash.

Die Blase platzt.
Nicht episch. Nur gnadenlos.

Monate kein Geld.
Stimmung kippt.
Versprechen verdampfen.
Ich lasse mich in Hardware auszahlen. Ein Mac unterm Arm wie ein ironischer Pokal.
Karoviertel. Wenig Plan. Viel Instinkt.

Dann der nächste Sprung.

Martin Kalinowski von PlasticSurf 2003

Ibiza. Salz. Bass. Bildschirmlicht.

Ich fliege übernächtigt auf die Insel.
Eigentlich „nur kurz“.
Ich komme an, die Luft schmeckt nach Salz und Sonnenmilch, irgendwo wummert ein Bass, der den Herzschlag neu kalibriert — und ich denke:
Boah.
Hier bleibe ich.

Ich sitze auf der Veranda einer Hütte am Strand und baue Brand & Design für Mari Mayans’ ersten Absinth-Alkopop.
Vielleicht war es die Hitze, vielleicht die grüne Fee im Glas, aber Design fühlte sich dort nicht an wie Arbeit.
Es war ein Rausch.

Ich baute Websites, Flyer, ganze Identitäten, Verpackungen — während im Space die Realität dekonstruiert wurde.
Tagsüber Hitze und Ideen, die so scharf waren, dass man sich an ihnen schneiden konnte.
Nachts Sound und Deadline.
Sonnenaufgang ist auf Ibiza keine Romantik. Er ist eine blutrote Warnung am Horizont, dass die Nacht vorbei ist und der Code geliefert werden muss.
Wir donnern mit dem Schnellboot Richtung Formentera, der Wind peitscht ins Gesicht, der Laptop im Rucksack fühlt sich an wie ein Ziegelstein aus Gold.

Ich lerne in diesen Wellen:
Ich kann überall Wert schöpfen.
Auch ohne Netz.
Auch ohne Sicherheitsleine.
Auch wenn der Boden unter den Füßen schwankt.

Zurück in die Zentrale.

Hamburg, Eppendorf.
Kein Strand mehr.
Beton.

Flash stirbt einen langsamen, qualvollen Tod. CSS übernimmt.
Google Ads fängt an zu laufen wie ein Kleinkind auf Speed.
Wir tun Dinge, die damals noch nicht „Best Practice“ heißen, sondern eher „Digitales Voodoo“: Wir verheiraten CMS mit Shopsystemen, die sich eigentlich hassen wie ein altes Ehepaar kurz vor der Scheidung.

Wir schließen tonnenschwere ERP-Monolithen an fragile Web-Frontends an und beten, dass die Naht hält. Es war Operation am offenen Herzen – mit Kunden im Nacken, Verantwortung in der Hand und dem Gefühl, dass wir das Internet gerade neu verkabeln.

Und ja: Nachts St. Pauli. Neonlicht, das sich in Pfützen spiegelt.
Menschenmassen. Reibung.
Du brauchst das Chaos, um die Ordnung zu ertragen.
Nicht als Trophäe.
Sondern als Erinnerung: Du baust diesen ganzen digitalen Zirkus nicht für Logos oder Server.
Du baust ihn für diese verrückten Köpfe hier draußen.

2007.

Steve Jobs hält das erste iPhone hoch.
Und plötzlich kippt die Welt.
Das Internet war nicht mehr in der Kiste auf dem Schreibtisch gefangen.
Es kroch in unsere Hosentaschen. Es war plötzlich immer da.
Beim Essen, im Bett, auf dem Klo.

Alles beschleunigt.
Alles wird „jetzt“.
Alles wird „noch schneller“.
Und irgendwann, in diesem Stroboskop aus Push-Nachrichten, Deadlines und vielen Euros aus den Ads, kommt diese Frage nachts, wenn der Lärm kurz Luft holt:
Renne ich noch – oder werde ich gerannt?

Geschwindigkeit ist eine Droge.
Am Anfang nimmst du sie für den Kick.
Irgendwann nimmst du sie nur noch, damit „normal“ wieder funktioniert.

Im Business nennt man das dann „Drive“.
Ich nenne es Wahnsinn.

Ich ziehe die Notbremse.
Freiburg.
Schwarzwald.
Luft.
Das Leben wird leiser.
Der Kopf noch nicht.

Bis sie kommt.

Martin Kalinowski von PlasticSurf 2024

DER BRUCH

Sia.

Wenn du zwanzig Jahre Systeme optimierst, glaubst du irgendwann, du könntest alles steuern: Input, Output, KPI, Plan.
Und dann hältst du dieses kleine Wesen im Arm und merkst:
Hier zählen keine Abkürzungen.
Keine Tricks. Keine Kontrolle.

Ein Kind interessiert sich nicht für Effizienz. Es zwingt dich zu etwas, das keine Programmiersprache der Welt kann:
Radikale Geduld, unbedingte Präsenz und bedingungslose Liebe.

In diesem Jahr der totalen Entschleunigung, zwischen Windeln und Waldspaziergängen, lernte ich, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Ich fragte mich nicht mehr: „Was skaliert?“ Ich fragte mich: „Was bleibt?“
Ich verstand plötzlich den Unterschied zwischen Umsatz (Lärm) und Wert (Substanz). Dass Wurzeln wichtiger sind als Flügel, wenn der Sturm kommt.

Sia lehrte mich den Blick des Adlers: Weg vom hektischen Picken am Boden, hin zum weiten Blick über das Ganze.

Nicht mehr.
Besser.

DIE KLARHEIT

Dann die nächste Welle.
KI. ChatGPT.
Der nächste Knall.

Früher, in meinem alten Leben, wäre ich sofort losgerannt. Voll rein. Adrenalin.
Heute bleibe ich kurz stehen – und schaue genauer hin.

Ich habe schon einmal erlebt, wie eine Epoche kippt: Euphorie, Panik, Opportunismus. Sehr viel Lärm. Der Fehler ist fast immer derselbe: Viele spielen das alte Spiel einfach nur schneller und noch lauter. Dieses Mal suche ich nicht den Kick. Ich suche den Hebel, der Bestand baut.
Die Karten werden neu gemischt. Aber dieses Mal habe ich einen Vorteil: Ich kenne den Rausch der Technik. Und ich kenne den unersetzlichen Wert der Menschlichkeit.

PlasticSurf heißt für mich heute:
Tempo, wenn es Sinn macht.
Und Ruhe, wenn Präzision zählt.

Ich baue keine Sandburgen.
Ich baue Systeme, die Stürme überdauern.

Jenseits von Google: Eine Analyse der ChatGPT Shopping-Funktion und die neue E-Commerce Ära der Generative Engine Optimization (GEO)
02Aug.

Jenseits von Google: Eine Analyse der ChatGPT Shopping-Funktion und die neue E-Commerce Ära der Generative Engine Optimization (GEO)

Ich glaube, du kennst dieses Gefühl auch. Ein Dutzend offener Tabs im Browser, jeder ein Versprechen, keiner eine wirkliche Antwort. Du suchst nach etwas Bestimmtem – vielleicht neue Laufschuhe, ein Geschenk oder einfach nur eine bessere Kaffeemaschine. Am Ende des Tages fühlst du dich nicht informiert, sondern erschöpft. Ein wenig…

Die getrübte Linse: Menschliche Realität, KI und die Suche nach Klarheit
05Juli

Die getrübte Linse: Menschliche Realität, KI und die Suche nach Klarheit

Der Regen murmelte leise und rhythmisch auf das Dach meines Wohnmobils. Ein beruhigendes, fast meditatives Geräusch, das eine besondere Stille im Inneren schuf. Ich saß da, mit einer Tasse warmen Tees in den Händen, und blickte aus dem Fenster auf die sanften, in Nebel getauchten Hügel des Wiesentals hier im…

GEO-Horizonte: Jenseits von SEO Keywords – Wie KI, AR und die nächste Tech-Welle Content neu definieren
27Juni

GEO-Horizonte: Jenseits von SEO Keywords – Wie KI, AR und die nächste Tech-Welle Content neu definieren

In den letzten beiden Artikeln haben wir so etwas wie ein gemeinsames Fundament gegossen. Wir haben über die Notwendigkeit von GEO gesprochen, die goldenen Regeln für KI-freundlichen Content definiert und die Formate erkundet, die Mensch und Maschine gleichermaßen begeistern. Es fühlt sich gut an, diese Klarheit zu haben, einen festen…